Geändert am: 21.02.2012
Abschied

 

 Der Kanzlermord erschütterte mich. Langsam begann ich auch an das Böse in der Welt zu glauben, und auch an das Unrechte.

Friedl war dieses Jahr aus der Schule gekommen. „Lassen sie ihren Sohn studieren“, hat der Herr Inspektor unserem Vater geraten.

Er musste ins Schwabenland.

Meine schulische Kariere fand ein Jahr später, vier Wochen vor allgemeinem Schulschluss ein jähes Ende. Die Familie meiner Taufpatin bewirtschaftete einen Bauernhof in der Nähe von Schwaz. Sie konnte es nicht erwarten, mich als Magd zu kommen. So musste ich mein Rucksackl packen. Der Abschied von daheim, besonders von unserer kleinen Ida, die ich immer mehr als unser „Geschenk Gottes“ liebte, lag wie ein schwerer Stein auf meiner Brust.

Wir nahmen den Zug nach Schwaz. Dort querten wir die Innbrücke und schlenderten auf einem Feldweg dahin. In Gedanken versunken ließ ich meine Hände über die wogenden Grashalme gleiten. Da sah ich den Geldschein am Wegrand. Der vor mir dahinwandernde Vater dachte vielleicht gerade an die Zeit vor anderthalb Jahrzehnten, als er seine Marianne von dieser lieblichen Welt in unser raues Hochtal geholt hatte.

„Vater wart', schau was ich gefunden hab“. “Fünfzig Schilling, wer kann denn so viel Geld verloren haben“? Weit und breit war niemand zu sehen. „Wir geben es beim Herrn Pfarrer ab, der soll es in der Kirche verkünden“. Dieweilen wir noch von dem Geld redeten, kauchte eine ältere Frau in fliegender Hast daher. Das Kopftuch tief im Nacken, die grauen Strähnen hingen ihr tief ins Gesicht. „Um Gottes Christi Willen, habt's ihr mein Geld gefunden“, stotterte sie. „Wie viel habt ihr denn verloren“, wollte mein Vater wissen. „Fünfzig Schilling, meine ganze Einnahme“, jammerte sie. „Frau, da habt ihr euer Geld, aber das Mädl da kriegt fünf Schilling Finderlohn. Wie eine Furie fuhr sie herum und schleuderte uns die unflätigsten Verwünschungen ins Gesicht. „Kua guate Stund sollt's ihr mehr haben“ und andere Dinge, die ich noch nie gehört hatte. Vater, ganz weiß im Gesicht, sagte mit unendlich müder Stimme: „Naa, des Geld mög'n wir nicht“. Er legte seinen Arm um meine Schultern. „Heidi, auf dem Geld wär kein Segen gewesen .

Ich aber war unendlich glücklich im Arm meines Vaters und spürte wie in meinem bisherigen Leben die Liebe zu daheim.

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